Anforderungen an "digitale Spiele" und deren Potenzial in den unterschiedlichen Fächern
Welchen Anforderungen müssen ein Videospiel oder eine virtuelle Simulation (ab hier zusammenfassend mit "Videospiel" bezeichnet) genügen, damit sie sinnvoll im und in Anlehnung an den Unterricht eingesetzt werden können? Was genau macht ein Videospiel besser oder schlechter geeignet? In welchen Schulfächern eignet sich der Einsatz von Videospielen eventuell besser als in anderen und warum?
Videospiele vermitteln und fördern sowohl Wissen als auch Kompetenzen und Fertigkeiten. Während in den vorangegangenen Beiträgen bereits auf die Kompetenz- und Fertigkeitsvermittlung eingegangen wurde, beziehen wir uns hier nun auf die Vermittlung von Wissen. Zunächst muss zwischen theoretischem und praktischem Wissen unterschieden werden. Videospiele vermitteln in erster Linie theoretisches Wissen, dass im Anschluss (oder mit geeigneten Hilfsmitteln) praktisch umgesetzt werden muss. Ein Beispiel für die Benutzung geeigneter Hilfsmittel ist die Simulation von Fahr- und Flugprüfungen mit verschiedenen Verkehrsmitteln. Je nach Ausstattung der Simulatoren kann das Fahr- beziehungsweise Flugverhalten ziemlich genau nachempfunden werden und die virtuelle Reise steht der Fahrt oder dem Flug im realen Leben in nichts nach. Eine abgeschwächte Form bieten beispielsweise Controller in Form von Lenkrädern für die Heimkonsole.
Allgemein zusammengefasst ist ein Videospiel dann im lerntheoretischen Kontext sinnvoll, wenn möglichst viele der nachfolgenden Kriterien erfüllt werden:
- Realitätsnähe (Es sollen Inhalte vermittelt werden, die die Lernenden in ihrer Umgebung wiederfinden)
- Anwendungsbezug (die Lernenden wenden ihr bereits erworbenes Wissen bzw. ihre Fertigkeiten und Kompetenzen in den Videospielen an)
- Vermittlung von Basiswissen vor spezifischem Wissen (neben speziell entwickelten Videospielen z.B. zur Begabtenförderung sollen die Videospiele in erster Linie allen Lernenden dienen)
- Erhöhung von Lernmotivation (der Spaßfaktor soll die Motivation beim Lernen erhöhen)
- Anbahnung oder Vertiefung von Kompetenzen und Fertigkeiten (auch zur Erhöhung oder dem effizienten Einsatz von Wissen)
- Förderung und Forderung der Problemlösefähigkeit und Strategieentwicklung (Die Videospiele sollen die Lernenden vor Herausforderungen stellen, die sie selbstständig meistern sollen)
Selbstverständlich ist darauf zu achten, dass die Videospiele thematisch zu dem jeweiligen Unterrichtsfach und -thema und beispielsweise entsprechend FSK-Vorgaben zu der Lerngruppe passen (oder für Entwickler daran angepasst werden). Prinzipiell bietet sich der Einsatz solcher "Videospiele" in jedem Unterrichtsfach an, jedoch gibt es immer auch fachspezifische Anforderungen an die Videospiele, die entweder einfacher oder schwieriger umzusetzen sind und die Spiele deshalb besser oder weniger geeignet erscheinen lassen. Im Folgenden seien einige dieser Anforderungen exemplarisch dargestellt:
- Die Spiele sollen den Unterricht ergänzen (oder teilweise ersetzen), ohne dadurch wichtige (oder durch curriculare Vorgaben vorgeschriebene) Lerninhalte auszulassen
- Die Videospiele müssen zu einem Mehrwert führen, d.h. sie müssen gegenüber dem klassischen Unterricht einen Vorteil bieten (oft ist dies der Spaßfaktor)
- Die Videospiele müssen zeitlich im Unterricht (oder zum Üben an deren Anschluss) umsetzbar sein
- Der Fortschritt sollte transparent gemacht werden, indem beispielsweise erworbene Inhalte final abgefragt werden
Beispiel: Klassischerweise vermittelt der Mathematikunterricht den Kindern Geometrie mit Kreide und Tafel. Zum Darstellen der geometrischen Sachverhalte eignet sich jedoch auch Programme wie GeoGebra, LaTeX oder MathLab, wobei sich vor allem das Erstgenannte aufgrund seiner Benutzerfreundlichkeit sehr großer Beliebtheit erfreut. Die Lehrer können Sachverhalte demonstrieren, die Lernenden können sie nachmachen. Gegebenheiten können spielerisch entdeckt und überprüft werden. Anschaulicher und vor allem animierter lässt sich das Ganze mit zusätzlichem Aufwand oder mit den Programmen LaTeX oder MathLab zeigen, die vom Lehrenden (und Lernenden) jedoch im Vorfeld das Erlernen einer Programmiersprache erfordern. Hier muss man sich als Lehrkraft also die entscheidende Frage stellen, welche Inhalte im Unterricht vermittelt werden sollen und ob sich der Einsatz digitaler Videospiele oder Lernmethoden wirklich anbietet. Oft reichen Tafel und Kreide aus, auch wenn der Einsatz von digitalen Medien zunächst interessant und zielversprechend klingt.
Ein Beispiel, bei dem der Einsatz von digitalen Tools der klassischen Variante im Unterricht in jedem Fall vorzuziehen ist, liefert die I-Pad App "Froggipedia". Hier können die Lernenden einen Frosch sezieren, ohne dabei das Leben eines Tieres auf dem Gewissen zu haben und mit der Garantie das Lernziel (spätestens beim 25. Versuch) auch zu erreichen. (Mehr zu der App Froggipedia siehe zum Beispiel: https://www.peta.de/neuigkeiten/ipad-app-des-jahres-2018-froggipedia/)
Welchen Anforderungen die Videospiele in den einzelnen Fächern genügen müssen, ist pauschal nicht zu sagen. Es ist abhängig von Faktoren wie dem Unterrichtsthema und sogar der jeweiligen Lehrkraft. Folgende Aussagen können jedoch allgemein getroffen werden:
Videospiele in den MINT-Fächern sollten den Entdecker- und Erfindergeist fördern. Sie sollten Zusammenhänge erklären und die Schüler:innen experimentieren lassen. Die Vorteile der digitalen Welt liegen hier ganz klar in der Bereitstellung von Rohstoffen (zum Beispiel Gold oder Platin im Chemie- , Physik oder Technikunterricht), die für Schulen sonst vielleicht zu teuer wären sowie der guten und gefahrlosen Visualisierung. Gefährliche Versuche könnten ohne eine wirkliche Gefahr durchgeführt werden, wodurch das Experimentieren freier und das Fehler machen lehrreicher wird.
Wie könnten Spiele in den MINT-Fächern aussehen? Sie könnten die Gesetze der jeweiligen Wissenschaft anschaulich visualisieren und von den Lernenden abverlangen, diesen Gesetzen zugrundeliegende Problemstellungen selbstständig zu lösen. Eine App, die dies (ansatzweise) erreicht ist beispielsweise "Brain It On", bei dem durch das Zeichnen von Objekten vorgegebene Probleme sinnvoll gelöst werden müssen. Die gezeichneten Objekte unterliegen dabei den Gesetzen der Physik (schwere Objekte haben eine höhere potenzielle Energie als leichtere, runde Objekte haben eine geringere Reibung und rollen deshalb besser als eckige etc.)
Videospiele in sprachlichen Fächern sollten die Anwendung der Sprache in den Vordergrund rücken und die Lernenden dazu verleiten, lebensweltliche Herausforderungen durch die Sprache zu meistern. Während Videospiele zum erlernen funktionaler Kompetenzen wie beispielsweise Grammatik und Wortschatz eher weniger geeignet sind, da es hierbei um die Memorisierung von Begriffen und festen sprachlichen Mustern und Strukturen geht, zeigen sie ein höheres Potenzial in der Vermittlung von kulturellen und geschichtlichen Lerninhalten. Besonders gut lassen sich Lernspiele also in Fächern wie Geographie und Geschichte einsetzen, wenn es darum geht, zeitliche Epochen oder die Verortung von Ländern, Städten etc. auf unserer Weltkarte zu thematisieren. Stellen Sie sich vor, Sie reisen von Südafrika über den gesamten afrikanischen Kontinent nach Europa, weiter nach Asien und von dort aus nach Amerika. Wie viele Länder, Städte, Flüsse, Seen, Meere und Berge würden Sie passieren und an wie viele würden Sie sich im Anschluss erinnern? Was im wahren Leben relativ schwierig ist, erscheint digital für jeden möglich. Voraussetzung hierfür ist die Programmierung eines digitalen Videospiels, das die Welt (oder Ausschnitte) kartographiert. "Vergangene Welten" und deren Geschichten können mithilfe von Videospielen erneut zum Leben erweckt und anders als durch den Einsatz von Geschichtsbüchern wirklich erlebt werden. Wichtige Schlachten und Eroberungen können miterlebt, Verhandlungen und anderen Meilensteinen der Geschichte beigewohnt werden.
Dabei immer im Vordergrund der Spaßfaktor, der Lernen zu einem Erlebnis werden lassen kann.
Quellen:
Krommer, A. (2018). „Warum der Grundsatz ‚Pädagogik vor Technik‘ bestenfalls trivial ist“. In Magazin Sprache des Goethe Instituts. Online verfügbar unter: https://axelkrommer.com/2018/04/16/warum-der-grundsatz-paedagogik-vor-technik-bestenfalls-trivial-ist/ [02.01.2022].
Wolf, K. (2015). „Bildungspotenziale von Erklärvideos und Tutorials auf Youtube.“ In Medien + Erziehung: Zeitschrift für Mediendidaktik, 59/1. Online verfügbar unter: https://doczz.net/doc/5910706/bildungspotenziale-von-erkl%C3%A4rvideos-und-tutorials-auf-you... [02.01.2022].
Stark, L./ Park, B. und Brünken, R. (2018). „Emotionen beim Lernen mit Multimedia.“ In Ladel, S./ Knopf, J. und Weinberger, A. Digitalisierung und Bildung. Wiesbaden: Springer, S. 141-158.
Würffel, N. (2019). „Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? Über den (bedenklichen) Umgang der Fremdsprachendidaktik mit dem Thema Digitalisierung.“ In Burwitz-Melzer, E./ Riemer, C. und Schmelter, L. (Hrsg.). Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel. Arbeitspapiere der 39. Frühjahreskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, S. 292-303.
Zierer, K. (2018). „Digitalisierung der Schule. Technik hat dem Menschen zu dienen." Online verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalisierung-der-schule-technik-hat-dem-menschen-zu-dienen-1.3880748 [02.01.2022].
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